Plot-Twists für dein Abenteuer

Twists

“Wie baue ich Stories, die so überraschend sind, dass meine Spieler Bauklötze staunen?“


Jedem, der schon einmal eine Folge von „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ gesehen oder einen x-beliebigen Groschenroman gelesen hat, ist bekannt, dass nichts langweiliger ist als eine von der ersten bis zur letzten Minute vorhersehbare Geschichte. Ganz ähnlich ist es im Rollenspiel. Selbst eine liebevoll gestaltete und gut erzählte Geschichte vermag schwerlich zu fesseln, wenn man sich als Spieler meistens schon denken kann, was als nächstes passiert. Daher sollte auch jeder Spielleiter, der die Anfangsphase der ersten geradlinigen Abenteuer Marke „Wir befreien die Prinzessin aus dem Turm“ hinter sich lassen möchte, sie zu seinem Handwerkszeug zählen: Plot-Twists, also überraschende Wendungen in der Storyline.

von Maja Koutsandreou

Nichtsdestotrotz bereitet das Erschaffen von Plots, die die Spieler nicht nur halbwegs unterhalten oder bauchpinseln, sondern auch überraschen und staunen lassen (und somit umso besser unterhalten), sogar vielen erfahrenen Spielleitern Schwierigkeiten. Das Ergebnis sind häufig entweder banale, unspektakuläre, im schlimmsten Fall sogar langweilige Plots oder aber Wendungen, die so konstruiert sind, dass sie völlig unglaubwürdig wirken.

Dabei ist es gar nicht so schwer, überraschende und dennoch glaubwürdige Plot-Twists zu schaffen, wenn man ein paar Basics beherrscht. Diese Serie soll Spielleitern die wichtigsten Grundlagen zum Erschaffen überraschender Wendungen näherbringen.

 

Teil 1: Der Überraschungsfeind

 

Die meisten Plot-Twists lassen sich über den geschickten Einsatz von NSCs erreichen.

Teil 1 widmet sich daher einem wahren Klassiker unter den Plot-Twist-Stilmitteln, dem „Überraschungsfeind“.

Viele klassische Kriminalromane, aber auch Filme funktionieren nach diesem Prinzip: Der Mörder bzw. Bösewicht stellt sich am Schluss als derjenige heraus, mit dem niemand auch nur im Traum gerechnet hätte.

Im Rollenspiel kann ein NSC, der sich völlig unerwartet in einer dramatischen Szene als der Schurke entpuppt, ebenfalls für gemeine, aber höchst formidable Überraschungen sorgen. Hier sind verschiedene Varianten denkbar.

 

a) Mr. Harmlos

Mr. oder Mrs. Harmlos zeichnen sich dadurch aus, dass man ihnen böse Taten weniger zutraut als den meisten anderen Leuten, sei es etwa aufgrund ihres Alters (Kinder, alte Leute), Erscheinungsbildes (hübsche junge Mädchen mit Engelsgesicht, weißgelockte strickende Omis), ihrer Rolle (Priester, Polizisten) oder anderer Eigenschaften (augenscheinliche Dummheit, Frömmigkeit etc.). Meistens dienen diese Äußerlichkeiten Mr. oder Mrs. Harmlos freilich nur als Tarnung.

Der Film „Die üblichen Verdächtigen“ illustriert dieses Prinzip meisterhaft: Der vermeintlich klumpfüßige, etwas schwachköpfige Kleinkriminelle stellt sich am Schluss als das böse Mastermind heraus. Seine Behinderung war nur gespielt.

Im Rollenspiel lassen sich erfahrungsgemäß sogar Veteranen von Mr. oder Mrs. Harmlos täuschen. Um die Glaubwürdigkeit eines NSCs zu unterstreichen und Misstrauen bei den Spielern erst gar nicht aufkommen zu lassen, können der Einsatz der „Mitleidskarte“ und Appelle an die emotionale Seite der Charaktere Wunder wirken.

Wie wäre es z.B., wenn der zerlumpte, halb verhungerte kleine Straßenjunge, den die Charaktere „zufällig“ aufgelesen und unter ihre Fittiche genommen haben, in Wirklichkeit ein Jahrtausende alter Meistervampir ist, der das Ziel hat, der Gruppe ihr wertvolles mystisches Artefakt zu stehlen?

Eine weitere, weniger plakative Variante von Mr. Harmlos ist der vermeintlich unwichtige NSC, wie etwa ein im Hintergrund agierender Dienstbote, Chauffeur, Geschäftspartner eines Charakters o.ä. Eine solche Rolle erzeugt meist noch weniger Misstrauen als die stärker im Vordergrund stehenden „offensichtlich“ Unschuldigen.

Hier solltest du als Spielleiter nur darauf achten, dass dieser NSC bei den Spielern dennoch einigermaßen präsent ist. Den vor 10 Spielesitzungen einmal aufgetauchten, in einem Nebensatz erwähnten Gärtner von Lord XY, an den sich die Charaktere nicht einmal erinnern können, am Ende eines Spielabschnitts als den Erzschurken zu präsentieren, wird bei den Spielern nicht staunende Gesichter, sondern höchstens fragendes Stirnrunzeln hervorrufen.

 

b) Der Verräter

Eine weitere beliebte Variation des „Überraschungsfeindes“ ist der Verräter. Als Freund, guter Bekannter oder Verwandter ist er im nahen Umfeld der Gruppe angesiedelt oder gar selbst Mitglied der Gruppe. Umso schockierender ist es, wenn sich diese vermeintliche Vertrauensperson plötzlich als Judas entpuppt, der heimlich mit dem Feind kollaboriert, gegen die Gruppe arbeitet oder gar der Hauptfeind der Gruppe ist.

Für den Einsatz dieses Stilmittels ist es wichtig, dem Verräter ein glaubwürdiges Motiv zu geben.

Bösartigkeit um der Bösartigkeit willen oder Soziopathie sind nicht zwangsläufig schlechte Motive für einen Erzbösewicht, aber denkbar schlechte Motive für einen Verräter.

Dass ein Charakter etwa von seinem geliebten Zwillingsbruder verraten wird, weil dieser, bis dato von der Gruppe völlig unbemerkt, schlicht ein verrückter Sadist ist, wirkt konstruiert und wird den Spielern vermutlich sauer aufstoßen.

Bessere, weil nachvollziehbare Motive sind z.B.

  • Geldgier (der langjährige Mitarbeiter, der Firmengeheimnisse an die besser zahlende Konkurrenz verkauft)
  • Machtgier (der gute Freund eines Mafiamitgliedes, der diesen ausbootet, um selbst Capo zu werden)
  • starke Emotionen wie Neid oder Eifersucht (der Zwilling, der immer im Schatten seines Bruders gestanden hat; die Freundin, die es nie verwinden konnte, dass ihre große Liebe sich in ihre beste Freundin verliebt hat)
  • andere Loyalitäten (die Ehefrau des US-Spions, die in Wirklichkeit sowjetische Geheimagentin ist)
  • Hass/Rache (Peter Parkers Freund Harry, der sich an Peter rächen möchte, weil er weiß, dass dieser Spiderman ist und seinen Vater getötet hat)

 

Die Motive des späteren Verräters können den Charakteren im Vorfeld unbekannt sein, wie im Fall der russischen Spionin oder im Fall von Peter Parker, der nicht weiß, dass sein bester Freund seine geheime Identität kennt.

Sie können den SCs aber auch bekannt sein. Wichtig ist dann, dass die Charaktere nicht ahnen dürfen, wie stark das Ausmaß der Gefühle des Verräters ist. So könnte ein SC durchaus wissen, dass ihre beste Freundin vor Jahren einmal unglücklich in den Mann verliebt war, den sie selbst später geheiratet hat. Sie sollte dies dann aber für lange vergeben und vergessen halten, damit der Verräter-Plot funktionieren kann.

 

c) Zwei Bösewichte

Etwas seltener, aber nichtsdestotrotz bewährt ist auch das Stilmittel, parallel zwei Bösewichte einzusetzen.

Neben einem den Charakteren häufig schon bekannten „Hauptbösewicht“ gibt es noch einen weiteren Schurken, einen Untergebenen/Gehilfen oder aber (wie etwa im Film „Scream“) einen gleichberechtigten Partner des Erzschurken, von deren Existenz die Charaktere nichts ahnen.

Während die SC nun Jagd auf Finsterling Nr. 1 machen (und sich u.U. schon fragen, wie übermenschlich der Gegner ist, gegen den sie kämpfen, da er ihnen offensichtlich immer einige Schritte voraus ist) , kann Finsterling Nr. 2 ungestört agieren. Die Enttarnung des zweiten Bösewichts, sei es durch eine zufällige Entdeckung der Charaktere oder in einer cineastischen, von langer Hand geplanten Szene, bietet Stoff für eine weitere überraschende Wendung.

Das Stilmittel „Zwei Bösewichte“ lässt sich geschickt mit „Mr. Harmlos“ oder, noch besser, mit dem „Verräter“ kombinieren. Denn sollte die Gruppe herausfinden, dass ihr guter Freund, der ihnen monatelang mit Rat und Tat im Kampf gegen ihren Feind zur Seite gestanden hat, in Wirklichkeit dessen Partner ist, ist dies garantiert eine äußerst böse Überraschung, die den Charakteren wie Spielern noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

 

 

Wie man den „Überraschungsfeind“ ins Spiel bringt

Beim Einsatz des Stilmittels „Überraschungsfeind“ zum Schaffen von Plot-Twists sind vor allem zwei Dinge wichtig:

1. Der Überraschungsfeind muss jemand sein, der den Charakteren bekannt ist. Einen völlig neuen Charakter als den geheimen Erzschurken einzuführen, ist zwar auch möglich, dies führt jedoch nicht zu einem Plot-Twist im Sinne eines „Aha-Effektes“ oder staunenden Augen bei den Spielern.

 

Beim Überraschungsfeind muss es sich nicht unbedingt um einen Haupt-NSC handeln, er sollte aber präsent genug sein, um in den Augen der Charaktere einen gewissen Wiedererkennungswert zu besitzen.

 

2. Wer den „Überraschungsfeind“ als Stilmittel verwendet, sollte darauf achten, dieses aufgrund des starken Abnutzungseffekts sparsam zu verwenden. Wenn eine Gruppe sich einmal von einer hübschen blonden Jungfrau oder einem armen Straßenkind hat übers Ohr hauen lassen, wird sie dem nächsten vermeintlich harmlosen NSC mit sehr viel mehr Misstrauen begegnen.

Gerade der Verräter sollte in einer Kampagne nicht öfters als ein oder zwei Mal zum Einsatz kommen. Wird die Gruppe zu oft von vermeintlichen Freunden verraten, wird es irgendwann unmöglich, NSCs einzuführen, die der Gruppe als Verbündete oder zumindest als gute Kontakte dienen sollen, da die Spieler in jedem NSC einen Feind vermuten.

Hier empfiehlt es sich eher, dass, wenn man denn mehrmals Verräter einsetzt, diese nicht alle freiwillig handeln lässt. So könnte etwa die Geliebte eines Spielercharakters diesen verraten haben, weil sie von einem Mafiaboss mit dem Leben ihres Sohnes erpresst wird. Wenn die Gruppe diese „entschuldigenden Gründe“ hinterher herausfindet, wird dies nicht zwangsläufig zu generellem Misstrauen gegenüber anderen NSCs führen, der Effekt, der überraschende Verrat, wurde jedoch erreicht.

Teil 2 der Serie wird sich mit dem Thema „Der vermeintliche Feind“ befassen.

 

 

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Ideenquellen für dein Abenteuer finden!

 

Ideenquellen und ihre Umsetzung

von Andre Wiesler
(www.andrewiesler.de)

Welcher Spielleiter kennt das nicht: Die Gruppe hat sich angemeldet, aber das Abenteuer wurde just am letzten Abend beendet, es ist kein Kaufabenteuer greifbar, die Magazin- und Internetabenteuer sind bereits durchgespielt oder qualitativ minderwertig, und überhaupt ist es ja immer schöner, eine eigene Idee an die Gruppe anzupassen. Aber woher nehmen und nicht stehlen? Obwohl: Warum nicht stehlen? Oder besser: inspirieren lassen?
Der Alltag steckt voller Ideen, die nur darauf warten, entdeckt und im eigenen Spiel verwendet zu werden. Das beginnt bei alltäglichen Ereignissen, die mit etwas kreativer Energie zu Abenteuerhandlungen ausgebaut werden können:

– Die Kassiererin gibt zuviel Wechselgeld zurück. Was wäre, wenn sie es absichtlich getan hätte, um eine verfluchte Münze loszuwerden? Oder in der Hoffnung, dass die Gruppe zurückkehrt, wenn sie es merkt, und sie vor einer verborgenen Bedrohung rettet?
– Wieder einmal beschwert sich ein älterer Herr zeternd darüber, dass ihn im Bus niemand sitzen lässt. Irgendwie sehen diese Opas doch immer gleich aus – was, wenn es tatsächlich einen von ihnen gibt, der immer wieder an den unterschiedlichsten Stellen auftaucht, vorzugsweise, um ein Unheil anzukündigen?

Konkreter und mit weniger Vorarbeit lassen sich politische, wissenschaftliche und historische Geschehnisse als Basis eines eigenen Szenarios nutzen. Die Nachrichten liefern oft einen ersten Impuls, der dann mit einer weiterführenden Recherche zu den Hintergründen im Internet schnell zu einem so genannten Plot, also einer Abenteuerhandlung, ausgebaut werden kann. Egal ob es (scheinbar spontane) Krawalle in einer europäischen Großstadt, politische Intrigen in der Regierung, überraschende Entwicklungen in der Medizin oder Wirtschaftsskandale sind; wenn man sich die Hintergründe genauer anschaut und in die Hintergrundwelt des jeweiligen Systems transportiert, ergeben sich bald mögliche Ansätze für ein eigenes Szenario:

– Es gibt die Theorie, dass mit Päpstin Johanna einstmals eine Frau auf dem Thron Petrus’ gesessen habe. Was, wenn dies auch für den Hohepriester einer großen Kirche gilt? Oder wenn der bekannte Macho-Schauspieler das gleiche „Geheimnis“ hat?
– Vor einer Weile gingen spektakuläre Bilder von einem Riesenkalmar um die Welt. Sind sie authentisch? Oder sollen sie nur davon ablenken, was die japanischen Forscher dort unten wirklich entdeckt haben?
– Es gab gewalttätige Aufstände in Paris. Was, wenn sie in der Spielwelt von mächtigen Wesen angezettelt worden wären, um die Opfer und Auswirkungen einer anderen Handlung zu verschleiern?

Sogar Träume eignen sich gelegentlich als Ideenspender, und die aus den mal surrealen, mal erschreckenden Traumbildern entstandenen Abenteuer zeichnen sich oft durch eine erfrischende Unvorhersehbarkeit aus, entspringen sie doch einem beinahe unbewussten kreativen Vorgang. Vor allem in Systemen, die eine mächtige Magie unterstützen oder sich dem Horror widmen, ist ein Traumtagebuch die halbe Miete.

Den wohl größten Fundus stellen aber Literatur und Fernsehen bzw. Film dar. Hier werden uns die Geschehnisse bereits in dramatisierter Form vorgeführt, und ein Autor hat (im Idealfall) viel Mühe und Gedankenarbeit in das Manuskript oder das Drehbuch gesteckt.
Aber oft gilt in diesem Bereich: Finger weg von den Bestsellern und Blockbustern, denn die haben Ihre Spieler im Zweifel auch gelesen oder geschaut und kennen die Ideen darin.
Empfehlenswert sind in diesem Bereich – nicht immer qualitativ, als Inspiration aber auf jeden Fall – Fernsehserien. Sie behandeln ähnlich wie eine Kampagne durchgängig grob das gleiche Thema, finden aber immer wieder neue Ansätze, und vor allem sind sie in ihrer Struktur ebenso wie das Rollenspiel auf Fortsetzungen ausgelegt. Wenn eine Folge mal ideenlos daherkommt, wartet bereits die nächste auf Sie, und die Wahrscheinlichkeit, dass Ihre Spieler diese konkrete Folge gesehen und im Gedächtnis behalten haben, ist relativ gering. Man sollte natürlich nicht unbedingt die erst in der letzten Woche gesendete Folge der Gruppen-Lieblingsserie nutzen, und auch Klassiker wie Star Trek, Buffy oder Babylon 5 tragen eine erhebliche Wiedererkennungsgefahr in sich.
Da die Welt der Fernsehserien einer immensen Fluktuation unterworfen ist, soll hier darauf verzichtet werden, Empfehlungen auszusprechen. Ein Blick in eine aktuelle Fernsehzeitschrift, ein Videorekorder und ein freier Sonntagnachmittag können Sie jedoch jederzeit mit genug Abenteuer-Ideen für die kommenden Wochen versorgen.

Es sind aber auch gerade Filme oder Serien, die auf die große Gefahr der „kopfexternen Ideensammlung“ hinweisen: Viele wirklich gute Filme liefern, wenn man einmal die bombastischen Effekte, coolen Sprüche und dramatischen Actionszenen subtrahiert, nicht mehr wirklich viel Plot. Und der Plot, der übrig bleibt, funktioniert auch nur im Film selbst so problemlos.
Wenn der Actionheld im Angesicht einer Übermacht erkennt, dass Flucht seine einzige Möglichkeit ist, heißt das noch lange nicht, dass die klassische Heldengruppe das ähnlich sieht. Und der Detektiv, der das fallen gelassene Taschentuch findet und aus den Initialen messerscharf schließt, wer der Mörder ist, hat den Charakteren möglicherweise nicht nur ein besseres Gedächtnis, sondern auch die Tatsache voraus, den Namen der entsprechenden Person überhaupt schon in Erfahrung gebracht zu haben.

Es wird ohne massive und den Spielspaß fressende Charaktergängelung niemals gelingen, einen Kinofilm, Roman oder Comic konkret nachzuspielen. Sie müssen darum eine Ideentransplantation durchführen, wenn Sie sich Plots aus bestehenden Quellen leihen möchten.
Dazu wird die Handlung erst einmal vom überflüssigen Gewebe (Darsteller, Spezialeffekte, literarischer Stil, vorgegebene Charakterentscheidungen, Actionszenen etc.), befreit und auf das Wesentliche eingekocht. Einige Beispiele dafür:

– In Alien bringt das Mannschaftsmitglied eines Raumschiffes ein bösartiges, praktisch unbesiegbares Alien mit an Bord, das ihn und den Rest der Crew tötet und von der letzten Überlebenden unter Mühen ins All geblasen werden kann.
– In Matrix muss ein Hacker erfahren, dass er in einer virtuellen Welt gelebt hat und von den anderen, die diese Illusion durchbrochen haben, als neuer Messias gefeiert wird. Er nimmt den Kampf gegen die Beherrscher der Virtuellen Realität auf und wächst über sich hinaus.
– In 6th Sense hilft ein Mann einem Jungen, der mit den Toten sprechen kann, dabei, seine Begabung anzunehmen und zu Gutem zu nutzen. Schlussendlich muss er aber erkennen, dass er selbst bereits tot ist.

Thriller jeder Art und Krimis zeichnen sich meist durch einen etwas umfangreicheren Handlungskern aus, da sie weniger Plot-unrelevanten „Ballast“ mit sich herumtragen. Schlussendlich lässt sich aber jede literarische oder cinematische Vorlage auf einen relativ knappen Kern zusammenfassen. Und mit diesem Kern arbeitet man dann weiter.

Mit dem gewonnenen Geschichtsdestillat kann nun auf verschiedene Weise verfahren werden. Die einfachste Methode ist, diese schlichtweg der Welt der Charaktere anzupassen. In einer Phantasiewelt wäre das bei Alien beispielsweise ein mächtiges Monster, das die Gruppe in einem begrenzten Raum (eine Insel, ein Dungeon, ein großes Segelschiff, ein fliegender Palast) bedroht. Der Matrix-Ansatz könnte ein Dorf beinhalten, in dem die Charaktere schon einige Tage untergekommen sind, das aber nichts anderes ist als eine große Illusion, mit deren Hilfe ein Dämon sich die Emotionen der schlafenden Dorfbewohner einverleibt. Will man die Charaktere nicht (zeitweilig) umbringen, muss man bei 6th Sense schon etwas weiter vom Original abweichen: Die Charaktere sind, ohne es zu bemerken, in eine andere Dimension geraten, die ihrer eigenen verblüffend ähnelt, doch außer einem kleinen, scheinbar verwirrten Jungen spricht niemand mit ihnen.
Dieser direkte Ansatz birgt natürlich immer die Gefahr, dass die Spieler die zugrunde liegende Quelle relativ bald enttarnen, was grundsätzlich nichts Schlimmes sein muss – sofern Sie nicht die in der Vorlage gelieferte Lösungsmöglichkeit ebenfalls übernommen haben.

Eine einfache Methode, die Herkunft weiter zu verschleiern und einen originelleren Ansatz zu finden, besteht in der Inversion der Rollen. Das wäre der Fall, wenn die Charaktere ein Alienschiff stürmen und nun für diese Wesen die Rolle des tödlichen Alien spielen. Oder wenn sie eine „entflohene“ Person suchen und einfangen sollen, dann aber erkennen müssen, dass dieser Mann oder diese Frau wieder in eine künstliche Welt gesteckt werden soll. Schließlich könnten es auch die Charaktere sein, die tote Menschen sehen, und von diesen als Rache- oder Hilfsmittel eingesetzt werden sollen.
Man merkt am letzten Beispiel bereits, dass sich nicht alle Methoden dazu eignen, die Stimmung und das Sujet des Originals ins Spiel hinüberzuretten. Aber Sie müssen ja auch kein 6th-Sense-Abenteuer spielen – es genügt, wenn die Vorlage Ihnen zu einem spannenden und unterhaltsamen Szenario verholfen hat. Und im Idealfall werden Ihre Spieler nicht merken, woher Ihre Inspiration stammt, und darum auch nicht feststellen können, wo Sie abgewichen sind.

Eine weitere Methode besteht in der Transformation des Personals. Wenn statt des Aliens oder eines unmenschlichen Monsters ein genetisch verbesserter Klon die Charaktere durch einen abgeschlossenen Bereich hetzt, erreichen Sie die gleiche Stimmung, aber die Reaktion Ihrer Spieler wird eher sein: „Cool, fast wie bei Alien“ als: „Boah, das hast du aber bei Alien geklaut.“

Das Verweben zweier Ideen ist eine etwas aufwändigere, dafür aber noch ergiebigere Variante der Plotfindung. Wenn die Charaktere und ihre Begleiter von einem Monster gejagt und vielleicht sogar dezimiert werden, nur um dann herauszufinden, dass sie an irgendeiner Stelle in der Vergangenheit in eine simulierte Welt geraten sind, ist das eine gelungene Verbindung zweier Plots zu einem neuen, der gleich einen überraschenden Wendepunkt mitliefert.

Natürlich müssen Sie nicht immer gleich ganze Szenarien aus den Quellen schöpfen. Es gibt in allen oben genannten Bereichen auch Stoff für interessante Nichtspielercharaktere oder einzelne Szenen, die Sie in Ihre eigenen Szenarien einbauen können. Diese Szenen können Sie entweder in der oben beschriebenen Weise verfremden und so unbemerkt in den Hintergrund einbetten oder als Hommage offen kopieren. Wenn sich eine Bedrohung als piepsender Punkt auf einem Bewegungsscanner nähert, ist die Vorlage aus Alien offensichtlich, was aber der durch die Szene erzeugten Spannung keinen Abbruch tut. Und Geister, die ihre Anwesenheit durch einen rapiden Temperaturabfall verraten, sind ebenfalls keine neue Idee, aber eine, die auf gelungene Weise die Stimmung unterstreicht.

Sie sollten sich jedoch nicht so weit in eine Szene verlieben, dass Sie Gefahr laufen, die Gruppe zu gängeln, damit sie auch bloß zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Fügt sich eine „entliehene“ Szene in die laufende Entwicklung ein, verwenden und genießen Sie die Stimmung und Atmosphäre, die sie liefert; gehen die Charaktere einen anderen Weg, dann winken Sie ihr zum Abschied und stecken sie zurück in die Schublade, um sie bei einer passenderen Gelegenheit wieder hervorzuziehen.

Sie sehen, Ideen sind überall dort draußen, warten nur darauf, gepflückt, geformt und genossen zu werden, und es ist – getreu dem Autoren-Motto: „Wir klauen nur von den Besten“ – nichts Ehrenrühriges daran, sich Inspirationsquellen zu suchen. Der Zweck heiligt in diesem Fall am eigenen Spieltisch jedes Mittel.

Abenteuerwerkstatt

In der aktuellen Ausgabe der Cthuloiden Welten ist ein interessanter Artikel über das Abfassen von Abenteuerszenarien erschienen:

„Der Artikel stellt dar, wie man Abenteuer aufschreibt, sei es, weil man sie Freunden geben will, sei es, weil man sie veröffentlichen will, im Internet, in Zeitschriften oder bei Pegasus Press. Zudem bietet er Einblicke, wie man Abenteuer ersinnt, die funktionieren.“

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